Rein rechnerisch ist die U19 noch nicht ganz durch, aber bei nur einem noch zu holenden Zähler aus fünf Partien darf schon ein Haken hinter die Mission Klassenerhalt gemacht werden. Angesichts der schwierigen infrastrukturellen Bedingungen im Vergleich zur Bundesligakonkurrenz aus Dortmund, Gelsenkirchen, Leverkusen, Mönchengladbach etc., eine Leistung, die man gar nicht hoch genug einordnen kann. Einer, der maßgeblichen Anteil an dieser bärenstarken YOUNGSTARS-Saison hat, ist U19-Trainer Cihan Tasdelen.
Hinter jedem Namen steckt nicht nur eine Persönlichkeit, sondern immer auch eine Geschichte. Die eine hat viele spannende Storys zu erzählen, eine andere vielleicht weniger – in jedem Fall sind sie aber einzigartig. Und im Fall von Cihan Tasdelen ist es auch eine besondere. In Istanbul aufgewachsen eiferte er als Kind und Jugendlicher einer Fußballkarriere nach, wollte selbst einmal auf einer großen Bühne spielen. Obwohl der Verteidiger damals sogar auf einem guten Weg war, der Vorhang sollte sich für ihn nie öffnen: „Ich habe bei Istanbulspor den Sprung in den Zweitliga-Kader geschafft, litt in der Vorbereitung dann aber unter einem Schienbeinkanten-Syndrom. Weil ich aber nicht ausfallen wollte, habe ich weitergemacht“, sollte sich dieser Schritt rächen. Es wurde ein Knochentumor diagnostiziert, die Karriere war nach der OP vorbei. „Die Trainingsbelastung war nicht mehr auszuhalten“, beschreibt Tasdelen eine bittere Zeit ganz zu Beginn seiner Laufbahn. Er war gerade 19 Jahre alt, wollte richtig durchstarten. Und da war es auch schon vorbei, das Kapitel abgeschlossen.
Aber wo sich eine Tür schließt, öffnet sich im Leben oft eine andere. So war es auch bei ihm: „Der Verein hat mir gleich eine Trainerstelle angeboten, die ich auch angenommen habe.“ Als U17 Chefcoach angefangen, übernahm er später die zweite Mannschaft von Istanbulspor. Der Fußball war aber nicht mehr der einzige Lebensinhalt, nebenbei studierte er in der Türkei noch Sport. Aber auch das Reisen war für den erkundungsfreudigen Tasdelen ein Antrieb, der ihn viel entdecken ließ. „Da habe ich jede freie Zeit für genutzt“, packte er damals einen Entschluss: „Ich wollte zwei Auslandssemester in Deutschland einlegen.“ Dass aus zwei Semestern 20 Jahre werden sollten, ahnte er damals noch nicht. Es fing damit an, dass sein Studium und seine Trainerlizenzen nicht anerkannt wurden, weil die Türkei kein Mitglied der EU war. Für Cihan Tasdelen war das aber kein Grund zurückzustecken, ganz im Gegenteil: „Ich wollte ein Studium in Deutschland abschließen und habe dann bei null neu angefangen.“ Seine ersten Schritte machte er an der Uni in Göttingen, nach einem guten Jahr folgte der Wechsel nach Münster. Dass er diesen Schritt überhaupt wagen konnte, verdankte er auch seinen guten Sprachkünsten: „Ich lerne Sprachen recht schnell, bin aber auch sehr interessiert daran“, arbeitete er daran genauso emsig, wie er es auf dem Fußballplatz immer getan hatte. Der Lohn? Er schloss in Deutschland ein Studium ab, sprach danach fast akzentfrei. „Ich kann mich noch gut an mein erstes Referat in Göttingen erinnern. Meine größte Sorge war es, grammatikalische Fehler zu machen“, gibt er heute schmunzelnd zu.
Bereits zwei Jahre nachdem Tasdelen im Alleingang seine Zelte in Deutschland aufgeschlagen hatte, stieß er in der Domstadt auf eine Konstante in seinem Leben. Er stieg, nachdem er auch seine Lizenzen nachgeholt hatte, als U17-Co-Trainer bei den Preußen ein, später folgten die U19 und die U23. Jetzt ist er schon 18 Jahre an der Hammer Straße zuhause, kennt den Verein wie seine Westentasche. „Als ich 2000 hier angefangen habe, fand die erste Einheit auf dem Ascheplatz statt. Als ich die Jungs mit dem Adler auf der Brust gesehen habe und gemerkt habe, wie die sich mit dem Verein identifizieren, hat es gleich gefunkt“, entflammte früh das Feuer für den Traditionsverein. Und seither floss viel Herzblut in diese Aufgabe. Aber auch in Deutschland lag sein Fokus nicht nur auf dem Fußball. Nach dem Studium hatte er sich mit einer Sporttourismus-Firma selbstständig gemacht. 12 Jahre führte er diese und machte sie immer größer – bis der Adlerclub 2015 mit einem spannenden Angebot auf ihn zukam. Der heute 42-Jährige erhielt die Möglichkeit, als Vollzeitkraft anzufangen und noch mehr Aufgaben zu übernehmen. So liegt heute die Videoanalyse für die Profimannschaft in seinem Aufgabengebiet, auch Scoutingaufgaben übernimmt er immer wieder. „Ich schaue mir immer den nächsten Gegner an, analysiere die Mannschaft, die Spieler, die Situation. Aus dem Gesamtbild entsteht ein 10-15 minütiger Videoclip, der die Stärken und Schwächen des Gegners aufzeigt, das Verhalten in Defensive und Offensive, Varianten bei Standards oder andere Besonderheiten. Das stelle ich dem Trainerteam vor“, steht er in engem Austausch mit dem Trainerstab um Marco Antwerpen. Und mit dem letzten Gegner Wehen Wiesbaden verbindet ihn auch eine besondere Geschichte. Im Oktober 2016 saß Cihan Tasdelen erstmals als Interimstrainer auf der Drittliga-Bank, traf mit den Preußen eben auf jene Wiesbadener.